GIORGY (DER HUND) Also, ja, hm… Meine Besitzerin, ne, die ist halt nicht da. Ich warte auf sie. Wir haben so eine Multikulti-Familie. Sie kommt nämlich aus dem Osten. Tiefster Osten, sage ich euch. Und dorthin ist sie also geflogen. Nach Hause. Ist halt wichtig. Die Wurzeln und so, ihr wisst schon. Imagepflege. Man muss ja beweisen, dass man als Ostler up to date ist, was da so im Osten läuft. Und dann… na, dann sollte ich auch mit. Sind ja eine Familie, ein Team, meine Besitzerin und ich. Wir also zum Tierarzt und wollten wissen: Wie sind die scheiß Regeln? Ausreise und so. Ich meine, sie kennt das ja. Immer die verfickten Regeln.
Nino Haratischvili
Radio Universe
Ich selber komme eigentlich aus Spanien. Bin kein Deutscher. Kein Reinrassiger. Mischling. Aber gut aussehend. Sehr gut sogar. Na gut, über die Länge der Beine lässt sich streiten, aber wir wollen nicht kleinlich sein…
Meine Besitzerin hat mich aus dem Heim. War ein kleiner Welpe. Und schwups, lande ich im Ostblock. Also, schon Europa und so. Aber Migrationshintergrund, ne. Ich meine, ich stehe dazu. Ich will kein reinrassiger Nazi sein. Wie die Bulldogge in der Nachbarschaft. Ein Ekel, sage ich euch.
Na ja, auf jeden Fall, ich und meine Dame bei dem blöden Arzt, der aussieht wie eine Giraffe. Der guckt in meinen Pass und meint: »Ihr Hund ist ja deutsch. Also wird es keine Probleme bei der Ausreise geben. Aber wenn er wieder nach Deutschland eingeführt werden soll, also nachdem er im Ostblock war, dann wird es schwierig.« »Wieso«, meint mein Frauchen, »wenn er deutsch ist und einen deutschen Hundepass hat, dann bleibt er ja ein deutscher Hund, Ostblock hin oder her.« Da meint der Typ: »Aber wenn er im Osten war, könnte er Krankheiten ins Land bringen. Er muss dann in Quarantäne, um Eventualitäten vorzubeugen. Daher wirds schwierig, muss eben fünf Wochen vorher angemeldet werden – ich gebe Ihnen die Nummer der Anmeldestelle.«
Da meint meine Besitzerin… also, sie meint dann zu dem Giraffen-Typen: »Ja, aber ich fahre doch nur für vier Wochen, da kann ich den nicht anmelden – da würde ja mein ganzer Aufenthalt für die Wartezeit nicht ausreichen.« Der Typ guckt blöd und sagt: »Na ja, dann wird es schwierig.« Und sie kriegt einen Ausraster. Ich versuche ihr Handgelenk zu lecken, sie zu besänftigen, ich kenne ja ihre Ausbrüche. Ich meine, Osten – ganz wiiiild – nicht so verhalten wie hier. Ganz großer Gefühlsausbruch, wenn schon, denn schon.
Sie rastet also aus, und ich: Oje, der Hamster im Käfig und der Pudel mit einer Schleife starren mich schon an. Oh Mann, ist das peinlich – steht denen ins Gesicht geschrieben. Ich lecke ihre Hand und wedele mit dem Schwanz, doch nichts bringt was. Sie brüllt den Arzt an: »Es ist schwierig, ja, das ist das Wort, was ich hier als erstes gelernt habe: Schwierig! Warum soll es schwierig sein, meinen Hund mitzunehmen? Ich fahre nach Hause, mein Hund gehört zu mir, und ich will ihn mitnehmen, wo soll er sonst auch hin? Was soll die Kacke? Kann er sich in eurem scheiß Land nicht anstecken? Wieso kann er hier nicht krank werden, wieso glaubt ihr, dass er das nicht kann? Er hat hier dauernd Durchfall gehabt, als Welpe und so.
Diese ganzen Magendarmgeschichten, die gibt es bei uns gar nicht. Scheiß auf eure klinische Sterilität. Ich will meinen Hund mitnehmen, EU hin oder her.« Der Giraffendoktor starrt sie an wie eine Wand, und nichts passiert. Die Pudelbesitzerin, die fette Kuh, schmatzt, und der schwule Typ mit dem Hamster räuspert sich. Und der Hamster schon: Hihihihi. Und der Pudel: Ohohoho. Ich lecke weiterhin ihre Hand und winsele: Hör auf, bitte, bitte. Weil es peinlich ist und so. Dann bleibe ich eben und warte auf dich. Ich warte, das weißt du, will ich ihr sagen. Aber ich meine, ich bin ein Hund. Was soll ich machen?
Als wir heim kommen, sieht sie mich an und kriegt einen Lachanfall: »Ich bin eine Ausländerin, ich brauche ein Visum für hier, für die Karpaten, für alles. Für Ein- und Ausreise. Zum Atmen. Aber du, du bist mein deutscher Hund.« Darauf ich zu ihr: Ich könnte dich adoptieren. Ich meine, geht natürlich nicht, weil ein Ostblock-Vollblutsweib und ein Mischling – geht gar nicht. Saßen wir dann in der Küche, sie trank ihren Kaffee (nein, einen Samowar oder so haben wir nicht, und Tee mag sie auch nicht besonders), und ich hatte meinen Hundkeks. Wir waren glücklich, irgendwie. Ja, schon.
Ich muss also in der sterilen EU auf sie warten. So ein Mist, dachte ich. Denn ich sags euch: EU ist definitiv geiler, also für einen Hund, meine ich, als Nicht-EU. Weil du kannst mehr tun, du bist ein freier Hund. Kannst nach Spanien in Urlaub oder in die Karpaten. Wollte schon immer in die Karpaten. Als EU-Mitglied darf ich auch auf den EU-Boden scheißen und so. Aber was nutzt mir der Pass, wenn sie Ausländerin ist, ich meine, der sieht man das schon von weitem an. Und deshalb kann ich nicht in Urlaub, und Karpaten kann ich auch knicken, weil sie eben immer diese Scheiße an der Backe hat. Immer.
So, dann ist sie weg. Und jetzt weiß ich nicht, ob sie wieder kommt. Weil… ich meine, schaltet doch mal den verdammten Fernseher an! Es ist Krieg in ihrem Land und dieses Land ist nicht in der EU! Echt scheiße für die.